Hypoxie nach optimaler Prä-Oxygenierung

Bei geschätzten 8 Mio. Intubations-Narkosen pro Jahr in Deutschland ist die Zahl der hypoxischen Zwischenfälle, unter der Narkose-Vorbereitung oder zu Beginn bzw. im Verlauf der Narkose, doch immer noch relativ hoch, wie man an den Gerichtsverfahren unter Beteiligung von Gutachtern aus der Anästhesiologie ersehen kann.
Streitpunkt ist fast immer die Frage, ob der akut hypoxische Patient vor der Relaxierung bzw. Intubation optimal prä-oxygeniert wurde oder nicht.
Zur Quantifizierung dieses Problems werden hier Daten zusammengestellt, die eine weitgehende Vorhersage gestatten, zu welchem Zeitpunkt nach Eintritt der Apnoe mit welcher arteriellen O2-Sättigung zu rechnen ist, die heute üblicherweise mit einem Pulsoxymeter gemessen wird. Diese Abschätzung bezieht den O2-Pool des Blutes mit ein und ist daher etwas präziser als die bereits publizierte [Zander 2005].

Folgende Werte werden zu dieser Quantifizierung eingesetzt:

  1. O2-Verbrauch:
    In den ersten 11 Minuten werden der Alveole nur 200 ml/min entnommen, da infolge apnoischer Oxygenierung mit (nur) Luft jede Minute 250 ml Gas mit 21 % O2 (= 50 ml O2) nachgezogen werden. Ab der 12. Minute beträgt der O2-Verbrauch dann (lehrbuchmäßig) 250 ml/min.
  2. O2-Pool im Alveolarraum:
    pAO2 650 mmHg (theor. 673 mmHg), cAO2 85,5 %, FRC 3.000 ml, also 2.565 ml O2.
  3. O2-Pool im Blut:
    5 l Blut-Volumen, cHb 150 g/l, max. 750 g x 1,39 ml/g, davon im arteriellen Blut (15 % mit sO2 100 %), also 155 ml O2, im venösen Blut (85 % mit sO2 75 %), also 665 ml O2, somit zusammen 820 ml O2.
  4. O2-Pool gesamt:
    3.385 ml O2, die dem Patienten zur Verfügung stehen.

Da als Messwert unter klinischen Bedingungen nur die O2-Sättigung des Pulsoxymeters zur Verfügung steht, die aber während der Zeit der Hyperoxie (die ersten 11 min) nur konstant angenähert 100 % anzeigen kann, muss der Verlauf über die Abnahme des pAO2 in der Alveole und dann später über den paO2 im arteriellen Blut berechnet werden.

Dabei werden folgende Stationen durchlaufen:

  • Nach 11 min umfasst der alvoläre O2-Speicher noch 365 ml, der paO2 beträgt noch 100 mmHg und damit die Pulsoxymeter-Sättigung noch angenähert 100 %, d. h. es wurde noch kein O2 aus dem Blut-Pool entnommen.
  • Nach 11,5 min wird dann erstmals O2 auch aus dem Blut-Pool entnommen, zuerst aus dem arteriellen Teil, bis die O2-Sättigung auf den Wert von ca. 75 % abfällt, d. h. dass jetzt das gemischt-venöse Blut ohne weitere Oxygenierung funktionell an der Lunge vorbeifließt.
  • Nach 12,5 min wird dann vornehmlich der im venösen Blut vorhandene O2 verbraucht.
  • Nach 14 min schließlich ist der paO2 auf ca. 20 mmHg und damit die O2-Sättigung auf 20 % abgefallen. Jetzt sind 2.950 von 3.385 ml O2 verbraucht.
  • Ab diesem paO2 von ca. 20 mmHg ist die O2-Versorgung von ZNS und Myocard gefährdet.

Erfolgt die Prä-Oxygenierung nur unvollständig, z. B. wird nicht der optimale pAO2 von 650 sondern nur einer von 325 mmHg erreicht, verkürzt sich die Zeit der Hyperoxie von 10 auf 5 min und der erste Sättigungsabfall erfolgt bereits 6,5 min nach Beginn der Apnoe.

Prinzipiell zur Sicherheit, aber auch aus didaktischen Gründen während der Ausbildung, kann empfohlen werden, den Erfolg der Prä-Oxygenierung zu messen und zu dokumentieren.
Dazu muss unter der Prä-Oxygenierung mit einem modernen Kapnometer die endexspiratorische O2-Konzentration (oder -Partialdruck) gemessen werden.
Erfolgreich wäre die Prä-Oxygenierung schon dann, wenn mindestens ein endexspiratorischer Wert von 500 mmHg petO2 bzw. ca. 65 % FetO2 gemessen wird, also etwa 75 % des maximal möglichen Wertes.
Diese Abschätzung gilt für einen lungengesunden Erwachsenen. Für Säuglinge, Kleinkinder und Schwangere gelten ungünstigere Bedingungen, die eine möglichst optimale Prä-Oxygenierung erst recht erfordern [Zander 2005]. Gerade für die Pädiatrie bleibt zu hoffen, dass sich diese Erkenntnisse flächendeckend durchsetzen, was leider immer noch bagatellisierend ignoriert wird [Kretz 2006].

Literatur

Zander R
Physiologie und klinischer Nutzen einer Hyperoxie
Anästhesiol Intensivmed Nofallmed Schmerther 2005: 40: 616 – 623

Kretz KJ
Respiratorische Notfälle im Kindesalter: Antwort auf einen Leserbrief
Anästhesiol Intensivmed Nofallmed Schmerther 2006; 7-8: 441