Das Molekulargewicht des Hämoglobins

R. Zander (Mainz), W. Lang (Mainz), P. Lodemann (Inst. für Labormedizin, Helios Klinikum Berlin-Buch)*

Das Molekulargewicht (MW) von Hämoglobin (Hb) beträgt 64458 g [1] und damit hat 1 mol Hb eine Masse von 64458 g bzw. 1 mmol Hb eine Masse von 64,458 g. Bei der Umrechnung der üblichen Normalwerte im Blut (14-18 g/dl) in SI-Einheiten (mmol/l) werden scheinbar widersprüchliche Angaben gemacht, wie die Autoren Lodemann et al. [3] zu Recht monieren: Die normale Hb-Konzentration (cHb) im Blut soll ~ 7-12 mmol/l betragen [6], ein Wert, der offensichtlich aus dem MW des monomeren Hämoglobins von 16114,5 g entwickelt wurde.

Damit treten, wie im Folgenden beschrieben, zwei Betrachtungsweisen in Konkurrenz, eine klinisch-physiologische und eine analytisch-biochemische, ein Konflikt, der die klinische Praxis belastet.

Klinische Physiologie

Hämoglobin (Hb) ist ein tetrameres Protein (MW 64458 g) mit 4 ähnlichen Untereinheiten. Jede Untereinheit besteht aus einer Polypeptidkette, dem Globin, und einer prosthetischen Gruppe, dem Häm mit einem zweiwertigen Fe-Atom. Das Hb des Erwachsenen hat überwiegend zwei α-Ketten aus 141 Aminosäuren und zwei β-Ketten aus 146 Aminosäuren. Fetales Hb besteht aus 2 α- und zwei γ- Ketten. Der physiologisch entscheidende Prozess der Oxygenation des Hämoglobins (reversible O2-Anlagerung) geht mit einer Konformationsänderung einher, wodurch die Oxidation des O2-Hämkomplexes (Valenzwechsel des Fe2+), also Methämoglobin- bzw. Hämiglobin-Bildung (Fe3+) verhindert wird. Zusätzlich sorgt im Erythrozyten ein Reduktasesystem für die Aufrechterhaltung der O2-Bindungsfunktion. Die 4 Untereinheiten bilden eine Funktionseinheit, da sie sich wechselseitig beeinflussen. Diese Kooperativität der 4 Untereinheiten bewirkt die S-formige O2-Bindungskurve. Modulatoren der O2-Affinität werden beim tetrameren Hb beobachtet, die wichtigsten sind der pH-Wert, der CO2-Partialdruck und das 2,3-Disphosphoglycerat (2,3-DPG). Hyperbelförmige Bindungskurven, also solche ohne Kooperativität,  zeigen O2-Myoglobin und O2-Hämoglobin ab einer CO-Beladung von ca. 50 %.  

Analytische Chemie

Die molare cHb in SI-Einheiten mit einem Bereich von ca. 7-12 mmol/l basiert auf der Verwendung des MW der monomeren Untereinheiten mit einem „gemittelten“ MW von 16,1145 g pro mmol Einheit. Der Ursprung dieser Betrachtungsweise basiert auf dem analytischen, d.h. spektroskopischen Nachweis von Hämoglobin als Cyan-Hämiglobin  (HiCN) oder alkalischem Hämatin (AHD), wobei die molaren Absorptionskoeffizienten eingesetzt werden können [4]. Der Vorteil dieser Vorgehensweise besteht darin, dass die molare Konzentration des monomeren Hb identisch ist mit der molaren Konzentration der Häm-Gruppen sowie des gebundenen Eisens. 1 mmol tetrameres Hb ist also vierwertig in Bezug auf 1 mmol Fe bzw. 1 mmol O2, das Äquivalentgewicht als ein Viertel des Tetrameren (im SI-System keine zulässige Größe). Die Berechnung des chemisch gebundenen Sauerstoffs in SI-Einheiten (mmol/l) wird dadurch besonders einfach, wenn auf das monomere Hb (mmol/l) bezogen wird, da die Hüfner-Zahl (s.u.) in diesem Fall 1 mmol O2 pro mmol Hb-Monomer beträgt. Die Angabe der O2-Konzentration (cO2) in mmol/l hat sich allerdings klinisch nicht durchgesetzt.

Nach IUPAC (International Union of Pure and Applied Chemistry) wird das Symbol Hb für das tetramere (64458) und Hb(Fe) für das monomere Hämoglobin (16114,5) verwendet, ebenso in der neuen DIN-Norm [4].  

Klinische Praxis

Historisch bedingt wird in der klinischen Praxis die Hb-Konzentration überwiegend immer noch in g/dl angegeben, bisweilen auch in g/l selten auch in mmol/l. In den heutigen so genannten Blutgas-Analysatoren (BGA) werden diverse Berechnungen vorgenommen, die dem Nutzer aus den gewonnenen Messwerten klinisch wichtige Rechenwerte liefern.

Beispiele:

Die O2-Kapazität, also maximaler Wert des chemisch gebundenen O2, berechnet sich mit Hilfe der theoretischen Hüfner-Zahl von 1,39 ml/g, ermittelt aus der Tatsache, dass 1 mol Hb (64458 g) maximal 4 mol O2 anlagern kann (4 x 22,4 l STPD) [7].

Zur Ermittlung der chemisch gebundenen O2-Konzentration (cO2) muss zusätzlich die O2-Sättung (sO2) als Fraktion eingesetzt werden, also cO2 = sO2 · cHb · 1,39 [7].

Die Berechnung des Base Excess (BE, mmol/l) im Blut erfolgt mit der cHb in g/dl und der sO2 als Fraktion [2], also

BE = (1-0,0143· cHb)· {cHCO3- - 24,26 + (9,5 + 1,63· cHb)· (pH-7,4)}- 0,2· cHb· (1-sO2).

Natürlich kann die Berechnung der BE- [5] wie auch aller anderen Gleichungen auf der Basis von SI-Einheiten (mmol/l) mit der monomeren Hb-Konzentration erfolgen.

Eine aktuelle Umfrage unter den Herstellern von Blutgas-Analysatoren (POC) hat erwartungsgemäß ergeben, dass alle die millimolare Hb-Konzentration cHb mit dem Wert von 16114 berechnen (Abbott, Eschweiler, Nova Biomedical, Radiometer, Roche Diagnostics, Siemens Healthcare Diagnostics, Instrumentation Laboratory).

Fazit

Bei der Konzentrationsangabe des Hämoglobins in mmol/l kommt es zu Missverständnissen, obwohl die Umrechnungsfaktoren in der DIN-Norm 58931 eindeutig definiert sind [6]. Bei der Umrechnung der normalen Hämoglobinwerte im Blut von konventionellen Einheiten (14-18 g/dl bzw. 140-180 g/l) in SI-Einheiten (mmol/l) kommt man zu unterschiedlichen Werten, je nachdem, ob das Molekulargewicht des tetrameren Hämoglobins (Hb, 64458 D) - Bereich 2,17-2,79 mmol/l - oder des monomeren Hämoproteins (Hb(Fe), 16114,5 D) - Bereich 8,69-11,17 mmol/l - eingesetzt wird. Da die gebräuchlichste Einheit g/dl oder g/l und nicht mmol/l ist und die in den BGA-Geräten benutzten Formeln zur Berechnung des O2- und des Säure-Basen-Status allesamt g/dl verwenden, sollte – wenn vom Nutzer gewünscht – die Umrechnung der cHb in mmol/l mit dem MW des tetrameren Hb von 64458 D erfolgen.

Andernfalls müssten gemäß IUPAC und DIN zwei verschiedene Symbole eingeführt werden, cHb und cHb(Fe), die im Ausdruck eines BGA-Gerätes in der klinischen Praxis nur eine unnötige Verwirrung stiften würden. Der Consensus zur Verwendung des Symbols „cHb“ für die Hb-Konzentration wäre damit hinfällig [8].

Empfehlung

Die cHb wird in g/dl oder g/l angegeben, wird eine SI-Einheit gewünscht, muss die cHb mit 64458 g/mol in mmol/l umgerechnet werden oder die cHb(Fe) in mmol/l mit 16114,5 g/mol.

Beispiel: Eine cHb von 161 g/l = 16,1 g/dl entspricht einer cHb von 2,5 mmol/l (empfohlen) oder einer cHb(Fe) von 10 mmol/l (nicht empfohlen).

Literatur

  1. Braunitzer G: The molecular weight of human haemoglobin. Bibl Haematol 1964; 18: 59-60
  2. Lang W, Zander R: The accuracy of calculated base excess in blood. Clin Chem Lab Med 2002; 40(4): 404-410
  3. Lodemann P, Schorer G, Frey BM: Wrong molar hemoglobin reference values – a longstanding error that should be corrected. Ann Hematol 2010; 89: 209
  4. Normenausschuss Medizin (NAMed) im DIN (Deutsches Institut für Normung e. V.): DIN 58931: Hämatologie – Bestimmung der Hämoglobinkonzentration im Blut – Referenzmethode. Berlin 2010:08
  5. Siggaard-Andersen O: The Van Slyke equation. Scand J Clin Lab Invest 1977; 37 (Suppl. 146): 15-20
  6. Young DS: Implementation of SI units for clinical laboratory data style: specifications and conversion tables. Ann Intern Med 1987; 106: 114-129
  7. Zander R, Mertzlufft F: Oxygen parameters of blood: definitions and symbols. Scand J Clin Lab Invest 1990; 50 (Suppl. 203): 177-185
  8. Zander R, Mertzlufft F, Lutter N, Schaffartzik W: Consensus: Vereinheitlichung von Nomenklatur und Symbolen, erstellt von Firmen im Bereich POC und Test-Labor für Hämodiagnostik. Qualitest 2005; 8: 1-7

* Die Autorenschaft setzt sich interdisziplinär zusammen: Klinische Physiologie, Physikalische Chemie, Labormedizin