Infusion von maximal 50 Liter Ringer-Laktat innerhalb von 1 Tag

Der Fragesteller, Prof. Dr. med. R. Zander, Institut für Physiologie und Pathophysiologie der Universität Mainz (Z), wendet sich im April 2005 an die Autorin mehrerer Publikationen zur Flüssigkeitstherapie Brandverletzter, Frau Priv.-Doz. Dr. med. C. Holm, Oberärztin der Abteilung für Plastische Chirurgie am Zentrum für Schwerbrandverletzte im Klinikum München-Bogenhausen (H). Das Thema: Brandverletzte Patienten erhalten dort in den ersten 24 h maximal 50 Liter Ringer-Laktat [5]. H bedankt sich für das Interesse an ihren wissenschaftlichen Arbeiten zur Flüssigkeitstherapie bei Brandverletzten, und stellt fest, dass Z anscheinend einiges missverstanden habe. Dieser Dialog, erweitert um eine Stellungnahme der Ethik-Kommission der Bayerischen Landesärztekammer (E) auf eine Anfrage von Z, wird hier wiedergegeben.

1. Problem - Gewichtszunahme

Z: Bei Zufuhr von 50 L Ringer-Laktat [5] wird eine Gewichtszunahme von ca. 40 kg innerhalb 24 h befürchtet, da die Urin-Ausscheidung unter der Therapie mit max. 4,8 L/d angegeben wird [6]. Dies ist nur eine Vermutung, weil diese Arbeitsgruppe, im Gegensatz zu anderen [1, 3, 4], keine Angaben über die Gewichtszunahme unter der Therapie macht.
H: Das Körpergewicht eines Schwerbrandverletzten erhöht sich nicht um 40 kg bei einer Infusion von 50 L (eine Infusionsmenge, die in meiner Studie nur in ganz seltenen Fällen vorkam). Der enorme Flüssigkeitsverlust eines Schwerbrandverletzten (wir reden bei diesen Infusionsmengen von drittgradigen Verbrennungen von 80-90% der Körperoberfläche) führt dazu, dass ein großer Teil des infundierten Volumens durch die verbrannte Hautareale verloren geht.
Kommentar Z: Ein Patient von 70 kg KG [7] mit einer verbrannten Körperoberfläche (VKOF) von 80 % (Maximalwert [5]) erhält bei dieser Arbeitsgruppe 51,5 L Ringer-Laktat innerhalb der ersten 24 h, nämlich 9,2 mL/kgKG/%VKOF [7], ein mit 50 L [5] vergleichbarer Wert. Die Gewichtszunahme kann nur wie folgt abgeschätzt werden: Das erzwungene Ödem eines Patienten, ausgedrückt als prozentualer Anteil des Infusions-Volumens, nimmt mit dem infundierten Volumen zu, weil die Nierenausscheidung und der Verlust über die Haut limitiert sind, wie in der folgenden Tabelle dargestellt ist.

Daraus folgt, dass nach Infusion von 50 L Ringer-Laktat etwa 60 - 80 % davon als erzwungenes Ödem zu einer Gewichtszunahme von 30 - 40 kg innerhalb von 24 h führen muss.

2. Problem - Säure-Basen-Status

Z: Wie sehen die arteriellen Blutgaswerte (pH, pCO2, BE, cHb) aus?
H: Ringer-Laktat hat eine große Ähnlichkeit mit der extrazellulären Flüssigkeit und das physiologische pH ist 7.4. Daher verschwindet die initiale Laktatazidose, die mit einem Verbrennungstrauma verbunden ist, relativ schnell, trotz der großen Mengen verabreichten exogenen Laktats.
Kommentar Z: Die Vorstellung, man könne eine Lakt-Azidose (nicht Laktat-Azidose) mit Laktat (trotz Laktat?) therapieren, ist unrealistisch: Die Lakt-Azidose ist Ausdruck einer überproportionalen Gewebe-Laktat-Bildung in Relation zum gestörten hepatischen Laktat-Abbau; es gibt also keinen Sinn, zusätzliches Laktat zuzuführen.
Offenbar wird auf eine Diagnostik des Säure-Basen-Status verzichtet, was aber entscheidend wäre, weil dem Patienten mit der Zufuhr von 50 L Ringer-Laktat ein Betrag von 50 x 27 = 1.350 mmol Laktat zugeführt wird, der nach Oxidation und/oder unter Glukoneogenese 1.350 mmol Bikarbonat (HCO3-) freisetzt. Der o. g. Patient von 70 kg KG wird also in seinem extrazellulären Flüssigkeits-Volumen (ECFV) von 14 L (20 % des KG) einen - unrealistischen - positiven Base Excess von ca. 100 mmol/L (genau 96 mmol/L) aufweisen müssen, nach Verdreifachung seines ECFV (42 L, Gewichtszunahme 28 kg) einen - realistischen - positiven BE von 32 mmol/L. Diese massive iatrogene Alkalose mit sehr hoher Mortalität wird von der Niere mit einer immensen HCO3--Ausscheidung kompensiert.

3. Problem - Zusammensetzung des Urins

Z: Welche Zusammensetzung hat der Urin (pH, Bikarbonat)?
H: Kein Kommentar.

4. Problem - Elektrolythaushalt

Z: Welche Daten liegen über die Elektrolyte (Na, K, Cl) vor?
H: Der Verlust an Natrium und Wasser ist bei Schwerbrandverletzten nicht nur auf einen externen Verlust durch die verbrannte Haut zurückzuführen. Genau so wichtig ist der Verlust an Natrium und Wasser nach intrazellulär, der durch eine universelle Veränderung der Zellmembrane des gesamten Körpers bedingt ist und zu einer intrazellulären Ödembildung führt. Wenn man mit Ringer-Laktat (und nicht mit hyperosmolaren Natriumlösungen behandelt) beobachtet man bei massiver Flüssigkeitsgabe in den ersten 24 Stunden eine Normo- bis Hyponatriämie. Kalium ist bei Aufnahme meistens hoch (durch den massiven Gewebsschaden), aber entwickelt sich im Laufe der Schockbehandlung eher in Richtung einer substitutionspflichtigen Hypokaliämie.
Ringer-Laktat ist eine balanzierte Salzlösung; sie enthält Laktat und Chlorid in einem Verhältnis von 27:103. Diese Lösung hat eine große Ähnlichkeit mit der extrazellulären Flüssigkeit und das physiologische pH ist 7.4.
Kommentar Z: Offenbar wird auf eine Elektrolyt-Diagnostik verzichtet, die Elektrolyt-Zusammensetzung von Ringer-Laktat ist nicht korrekt: Die Natrium-Konzentration beträgt 130 anstelle von 142 mmol/L im Plasma, die Chlorid-Konzentration 112 anstelle von 103 mmol/L. Die beschriebene Hyponatriämie bei massiver Flüssigkeitsgabe dürfte damit iatrogener Genese sein.
Ringer-Laktat ist eine hypotone Lösung mit einer Osmolarität von nur 276 anstelle 308 mosmol/L (isotone 0,9 % NaCl). Die in der Literatur zahlreich vorhandenen Warnungen zum Thema Hirnödem nach Infusion großer Volumina Ringer-Laktat werden offenbar nicht berücksichtigt (vergl. dazu: Intrakranieller Druck und Osmolalität unter PhysioFundin/Detailfragen Infusionslösungen).

5. Problem - Metabolite

Z: Wie sehen die Metabolite aus (Glukose)?
H: Glukose ist bei Brandverletzten in der Schockphase hoch (ich verweise im übrigen auf meine Publikation in Resuscitation zu diesem Thema) [8].
Kommentar Z: Die Infusion von Ringer-Laktat führt bekanntlich zur Hyperglykämie. Bei einer Zufuhr von 1.350 mmol Laktat können unter hepatischer Glukoneogenese ca. 70 % in Glukose (2 : 1) umgewandelt werden, damit würde sich die Glukose-Konzentration beim o. g. Patienten im ECFV von 14 L auf 34 mmol/L erhöhen bzw. in 42 L ECFV etwa verdoppeln (11 mmol/L).

6. Problem - Laktat-Diagnostik

Z: Kann die Laktat-Konzentration eine diagnostische Bedeutung haben, im Sinne des von Ihnen beschriebenen oxygen dept, wenn Ihre Patienten bis 1.500 mmol via infusionem erhalten haben?
H: Viele Studien haben eine Relation zwischen der Laktat-Konzentration in der Schockphase und Outcome gefunden. Dieser Zusammenhang scheint unabhängig von dem verabreichten Resuscitationsvolumen.
Kommentar Z: Selbstverständlich ist eine Laktat-Diagnostik im Sinne eines Hypoxie-Markers bei externer Zufuhr von Laktat ausgeschlossen. Die gemessenen Laktat-Konzentrationen betragen bei den Non-Survivors nach 12 h immerhin 6,5 mmol/L [5] oder sogar 11,8 ± 6,6 mmol/L [6]. Stellvertretend für viele Literaturstellen wird eine Multicenter-Studie zitiert: An 410 Patienten aus 6 Krankenhäusern wird demonstriert, dass eine Plasma-Laktat-Konzentration von 7 mmol/L eine spätere Mortalität von ca. 50 % und von 12 mmol/L eine Mortalität von ca. 90 % prognostiziert [2].
Für den Fall, dass das zugeführte Laktat nicht metabolisiert wird, würde sich beim o. g. Patienten nach Verdreifachung seines ECFV (42 L, Gewichtszunahme 28 kg) eine Laktat-Konzentration von 32 mmol/L ergeben. Da einzelne Patienten nach 12 h eine Laktat-Konzentration von ca. 20 mmol/L aufwiesen (11,8 + 6,6 mmol/L SD), ist die Annahme berechtigt, dass hier vom zugeführten Laktat bestenfalls ein Drittel metabolisiert wurde. Die Schlussfolgerung der Arbeitsgruppe [6] ist nicht nachvollziehbar: „Lactate levels seem to correlate with organ failure and death and appear a suitable end-point for resuscitation of severely burned patients.“

7. Problem - Ethik-Kommission

Z: Ist es ethisch vertretbar, einem Patienten innerhalb von 24 h insgesamt 50 Liter Ringer-Laktat zu infundieren?
E: „Infusion in einen Patienten von 50 l Ringer-Laktat innerhalb von 24 Stunden“ klingt auf den ersten Blick gefährlich und bedenklich. Berücksichtigt man allerdings, dass es sich hier um eine spezielle Infusionstherapie bei schwerbrandverletzten Patienten handelt, so relativiert sich diese Menge. Zur Frage der Art der kristalloiden Flüssigkeitssubstitution bei Verbrennungen gibt es zur Zeit mit Ringer-Laktat umfangreiche Erfahrungen (Monafo 1996, [9]). Unter Berücksichtigung einer entsprechenden Körpergröße und einer großflächigen Verbrennung ist es nach dem gegenwärtigen Stand des Wissens unseres Erachtens daher im Einzelfall sowohl berufsrechtlich wie auch berufsethisch möglich und vertretbar, innerhalb der ersten 24 Stunden auf diese hohen Mengen an Ringer-Laktat zu kommen.
Die Fachinformation zu Ringer-Laktat (angefügt: Ringer-Lactat-Lösung B. Braun, Stand: Okt. 2001) gibt darüber hinaus keine absoluten Maximalmengen an. Es heißt dort lediglich: „Die Bemessung der aktuell und individuell benötigten Flüssigkeitsmenge ergibt sich aus dem in jedem Fall abgestuft erforderlichen Monitoring (z. B. Urinausscheidung, Osmolarität im Serum und Urin, Bestimmung ausscheidungspflichtiger Substanzen)“.
Kommentar Z: Die angefügte Fachinformation führt unter Dosierung mit Einzel- und Tagesgaben aus: Maximale Tagesdosis: Bis zu 40 mL/kg KG und Tag, also für den o. g. Patienten maximal 2,8 L pro Tag und nicht 50 L pro Tag. Weiter: Die maximale Infusionsgeschwindigkeit beträgt 5 mL/kg KG und Stunde, also 350 mL/h und nicht 2.080 mL/h. Die Ethik-Kommission ist offensichtlich überfordert.

8. Fazit

Nach Monafo [9] werden international zwischen 2 und über 6 mL/kgKG/VKOF an Ringer-Laktat verabreicht, im Mittel 4 mL/kgKG/VKOF. Damit hat diese Arbeitsgruppe die Dosierung, gemessen an der sog. Baxter-Formel mit 4 mL/kgKG/VKOF, um 130 % erhöht (nach eigenen Angaben [6] um 106 %). Mit maximal 50 L hat sie den bisherigen „Rekord“ von maximal 33,1 L Ringer-Laktat [1] um 50 % übertroffen, toleriert von lokaler Ethik-Kommission und Ärztekammer.
In einem anderen Bundesland hingegen wird aktuell eine eher restriktive Flüssigkeitstherapie empfohlen: Der im Hessischen Ärzteblatt (3/2004) veröffentlichte Mindeststandard fordert nach einer „modifizierten“ Baxter-Formel nur „2 (-4) ml/kgKG/VKOF“.
Der vermeintliche Gewinn für den Patienten nimmt sich eher bescheiden aus: Die nach Laktat-Infusion regelmäßig beobachtete Steigerung des O2-Verbrauchs des Patienten, 1.350 mmol Laktat benötigen zur Oxidation 90 L O2, würde für diesen Patienten einen zusätzlichen O2-Verbrauch von ca. 60 mL/min bedeuten. Dies wurde jetzt an einem neuen Patientenkollektiv demonstriert: „Fluid resuscitation inceases VO2 during hypovolemic shock after severe burn injury“ [5].
In einem Punkte aber ist der Arbeitsgruppe zuzustimmen [7]: “The current standards for monitoring fluid therapy in patients with large burns are not supported by scientific data.”

Literatur

  1. Barton RG, Saffle JR, Morris SE, Mone M, Davis B, Shelby J: Resuscitation of thermally injured patients with oxygen transport criteria as goals of therapy. J Burn Care Rehab 1997; 18: 1 - 9
  2. Cady LD, Weil MH, Afifi A, Michaels S, Liu V, Shubin H: Quantitation of severity of critical illness with special reference to blood lactate. Crit Care Med 1973; 1: 75 - 80
  3. Du GB, Slater H, Goldfarb IW: Influences of different resuscitation regimens on acute early weight gain in extensively burned patients. Burns 1991; 17: 147 - 150
  4. Gunn ML, Hansbrough JF, Davis JW, Furst SR, Field TO: Prospektive, randomized trial of hypertonic sodium lactate versus lactated Ringer’s solution for burn shock resuscitation. Trauma 1989; 29: 1261 - 1267
  5. Holm C, Melcer B, Hörbrand F, von Donnersmarck GH, Mühlbauer W: The relationship between oxygen delivery and oxygen consumption during fluid resuscitation of burn-related shock. J Burn Care Rehab 2000; 21: 147 – 154
  6. Holm C, Melcer B, Hörbrand F, Wörl HH, von Donnersmarck GH, Mühlbauer W: Haemodynamic and oxygen transport responses in survivors and non-survivors following thermal injury. Burns 2000; 26: 25 - 33
  7. Holm C: Resuscitation in shock associated with burns. Tradition or evidence-based medicine? Resuscitation 2000; 44: 157 - 164
  8. Holm C, Mayr M, Hörbrand F, von Donnersmarck GH, Mühlbauer W: Acute hyperglycaemia following thermal injury: Friend or Foe? Resuscitation 2004; 60: 71 - 77
  9. Monafo WW: Initial management of burns. N Engl J Med 1996; 335: 1581 - 1586