Un-praktische Diagnostik des SBH: Augsburger Irrtümer

Die Augsburger Autoren des Beitrages Praktische Diagnostik des Säure-Base-Haushalts. Teil 1: Differenzierung von respiratorischen und metabolischen Störungen. Teil 2: Differenzierung von metabolischen Störungen [Anaesthesist 2012; 61: 989 - 1078] veröffentlichen eine Vielzahl von Irrtümern:

  • Die normale Hb-Konzentration beträgt nicht 15 mg/dl sondern 15 g/dl (viermal), einmal sogar in einer CME-Frage.
  • Die normale Albumin-Konzentration beträgt nicht 4 - 5  mg/dl sondern 4 - 5 g/dl (zweimal).
  • Zitat: „Albumin ist der Hauptvertreter der nichtvolatilen schwachen Säuren“.
    Allein die Konzentrationen zeigen den Irrtum an (zur Vereinfachung einen Hct von 50 % angenommen), nämlich cHb 15 g/dl im Blut vs. cAlb 4 g/dl im Plasma, also in vergleichbaren Einheiten: cHb 15 g/dl Blut vs. cAlb 2 g/dl Blut oder cHb 30 g/dl im Ery (MCHC) vs. cAlb 4 g/dl im Plasma. Also beträgt der Konzentrations-Anteil der Proteine im Blut ca. 80 % für Hämoglobin vs. nur 20 % für Albumin.
  • Die Konzentration des aktuellen Plasma-HCO3 ist nicht geeignet zur Differenzierung von respiratorischen und metabolischen Störungen.
    Zitat aus Physioklin Säure-Basen-Haushalt/Diagnostik: Praktisch überflüssig ... ist die von einzelnen Geräten berechnete aktuelle cHCO3- des Plasmas, die sowohl auf respiratorische als auch nicht-respiratorische Änderungen reagieren muss: Eine Erhöhung des pCO2 führt ebenso wie eine Erhöhung des pH-Wertes zu einer Zunahme der cHCO3- und umgekehrt.
    Beispiel: Eine nicht-respiratorische Azidose (pH 7,31 bei pCO2 40 mmHg und BE -6 mmol/l) zeigt die gleiche Plasma cHCO3- von 20 mmol/l wie eine respiratorische Alkalose (pH 7,54 mit pCO2 24 mmHg und BE ± 0 mmol/l).
    Es ist offensichtlich, dass diese Größe, wie auch das von manchen Geräten berechnete Gesamt-CO2 des Blutes (ml/dl), für die klinische Diagnostik ungeeignet ist, da diese Größen keine Differenzierung zwischen respiratorischer und nicht-respiratorischer Seite des Säure-Basen-Status zulassen.
  • Der entscheidende Irrtum der Autoren besteht in dem Versuch, den Säure-Basen-Status im Plasma statt im Blut zu interpretieren. Dies wird mit der folgenden Abbildung korrigiert: Sie belegt die Tatsache, dass die Konzentration der Pufferbasen BB mit 48 mmol/l im Blut (!), bestehend aus 28 mmol/l Proteinat (~ Hb) und 20 mmol/l HCO3, unabhängig vom pCO2 ist.

Damit bleibt der Base Excess BE, die mögliche Abweichung von 48 mmol/l, mit 0 mmol/l unabhängig von jeder Änderung des pCO2. Die Zunahme von HCO3 bei Anstieg des pCO2 ist proportional zur Abnahme des Proteinats, das überwiegend aus Hämoglobin besteht. Die Ursache für dieses Phänomen ist die Tatsache, dass der respiratorische „Superpuffer Hb“ alle aus der H2CO3 entstehenden H+-Ionen zu 99,99 % puffert.

Damit ist Hb zu fast 100 % für die Bildung von HCO3 im Blut verantwortlich und stellt beim pCO2 von 40 mmHg sicher, dass die HCO3-Konzentration im Plasma und damit im gesamtem Extrazellularraum 24 mmol/l beträgt (bezogen auf Blut nur 20 mmol/l). Auf diese Weise sorgt Hämoglobin dafür, dass Blut fast 10 mal besser CO2 als O2 transportieren kann, weil es reversibel CO2 in HCO3 umwandeln (Gewebe) und umgekehrt wieder abgeben (Lunge) kann.

Für Spezialisten:
Beim pCO2 von 0 mmHg beträgt der pH für das oxygenierte Blut mit einer cHb von 15 g/dl gerade 8,285 und enthält kein HCO3. Will man ein synthetisches Blut mit physiologischem Säure-Basen-Status herstellen, so gelingt dies mit einer wässrigen Lösung, die beim CO2-freien pH von 8,285 eine Gesamtpufferbasen-Konzentration von 50 ± 2 mmol/l aufweist, und aus zwei Puffern mit pK-Werten von 6,9 und 7,9 besteht (Patentschrift DE 33 21 200 C2).

Die „unumstößliche Tatsache“ der Autoren, „dass ein konkreter im Plasma gemessener pH… nur von Faktoren bestimmt werden kann, die sich im Plasma befinden“ treibt das „Nur-Plasma-Konzept“ der Autoren ad absurdum, die Einführung eines „BEPlasma“ ist weiterer Beleg dafür.

  • Irrtümlich empfehlen die Autoren den Standard-Base-Excess (SBE), den nur die Fa. Radiometer verwendet und der bereits 2005 in einem Consensus, erstellt von Firmen im Bereich POC (Bayer (heute Siemens), Fresenius, Instrumentation Laboratory, Nova Biomedical, Radiometer, Roche Diagnostics) „beerdigt“ wurde.
    Zitat aus QualiTest Heft 8 von 2005: Die veraltete Nomenklatur „Standard Base Excess SBE“ ist durch „Base Excess der Extrazellularflüssigkeit BE (Ecf)“ zu ersetzen. 
    Dieser Consensus wurde nachträglich von Radiometer wie folgt „aufgekündigt“: Radiometer besteht bei den sehr verwirrenden, den Patienten vielleicht gefährdenden Symbolen für den Base Excess auf der Wahlmöglichkeit des Kunden.
    Er soll – bei Radiometer Copenhagen – wählen können (Radiometer Broschüre AS 111) ABE, cBase(B), cBase(B,ox), cBase(Ecf), cBase(Ecf,ox), SBE und – bei Radiometer Deutschland – zusätzlich noch die „alten Symbole“ BE(B), BE(Ecf), BE(B,ox) und BE(Ecf,ox). Offensichtlich schätzen die Autoren diese „Radiometer-Confusionen“.
  • Die Autoren glauben irrtümlich, zur Differenzierung von metabolischen Störungen des Säure-Basen-Status sei der BE der Extrazellularflüssigkeit erforderlich, weil er, basierend auf einem theoretischen Verdünnungs-Ansatz (cHb 5 g/dl), das Plasma und den gesamten Extrazellularraum mit einbeziehe.
    Tatsache ist, dass der BE des Blutes sehr wohl eine Proportionalität zu verschiedenen Größen des Plasmas und damit des gesamten Extrazellularraumes zeigen kann.
    Am Beispiel des BE in mmol/l Blut wurde demonstriert, dass eine sehr gute Proportionalität zur Laktat-Konzentration in mmol/l Plasma besteht, das natürlich im Gleichgewicht zum Extrazellularraum steht. Dies kann man mit 278 Messwerten von Neonaten und 142 Messwerten von Sportlern optimal belegen: Korrekte Berechnung des Base Excess.
  • Das Konzept des BE der Extrazellularflüssigkeit mit einer fiktiven cHb von 5 g/dl darf nicht auf einen „beatmeten Säugling“ (Beispiel der Autoren) ausgedehnt werden, weil der Säugling einen doppelt so großen Extrazellularraum wie der Erwachsene hat.
    Ebenso darf dieses Konzept nicht auf einen Anämie-Patienten angewandt werden, weil dieser schon im Blut eine verminderte cHb aufweist. Weitere stichhaltige Argumente gegen die Verwendung dieses Parameters.
  • Die Behauptung der Autoren, es mache keinen Unterschied, ob Laktat in Form von Milchsäure oder in Form von Laktat „wie bei Zufuhr von Ringer-Laktat-Lösung in den Körper gelange“, mache keinen Unterschied, ist ein fataler Irrtum:
    Der Patient im Schock setzt Milchsäure frei und erfährt eine Azidose, die Zufuhr von Ringer-Laktat erzeugt beim Patienten nach Metabolisierung eine Alkalose.
  • Die Behauptung der Autoren, dass „eine Veränderung des Albumins um 1 mg/dl zu einer Änderung des Base Excess um 2 - 3 mmol/l führt“, ist – doppelt – falsch.
  • Die Autoren befinden sich im Irrtum, wenn sie den Einfluss der O2-Sättigung des Blutes auf den Säure-Basen-Status negieren:
    Beispiel: Wird der BE nach Zander richtig berechnet (Korrekte Berechnung des Base Excess), dann spielt es keine Rolle, ob bei der Diagnostik arterielles oder venöses Blut verwendet wird.
    Zitat von dort zum Thema Neonatologie: Es ist offensichtlich, dass für das O2-arme Blut (blau) der Nabelarterie die Unterschiede zwischen falschem BE (BEalt) und korrektem BE (BEkorr) erwartungsgemäß besonders groß ausfallen, nämlich bis zu 3 mmol/l.
  • Die Autoren halten immer noch an den Irrtum fest, es gäbe eine kausale Verknüpfung zwischen Chlorid-Konzentration und Säure-Basen-Haushalt: Tatsache ist, dass je nach Infusionsregime iatrogene hyper- und hypochlorämische Azidosen und Alkalosen beobachtet werden, wie am Beispiel der Münchner Entgleisungen belegt wird.
  • Die Autoren befinden sich im Irrtum, wenn sie glauben, ein „Kalkulator“ könne bei der „praktischen Diagnostik“ behilflich sein. Tatsache ist, dass im Gegensatz zu den Stewart-Größen (Zitat der Autoren “ Stewart war Chemiker nicht Kliniker“) der BE von jedem POC-Gerät seit Jahrzehnten angezeigt wird, ohne externen „Kalkulator“.
    Man benötigt nur die Messwerte pH und pCO2 sowie – bei genauer Berechnung – die cHb und die sO2, sofort erscheint der – richtig berechnete – BE auf dem Display (Korrekte Berechnung des Base Excess). Für den „Kalkulator“ hingegen werden – zusätzlich – benötigt: cNa, cK, cCa, cMg, cCl, cLaktat, cAlbumin und cPhosphat.
  • Die Autoren befinden sich immer noch im Irrtum, wenn sie das Stewart-Konzept als klinisch praktikabel bezeichnen, das Gegenteil ist richtig, hier nachzulesen: Zander, Lang 2004; Zander 2008. Es gibt daher überhaupt keinen Sinn, dieses höchst umstrittene Konzept gleich 10 mal zum Gegenstand von 20 CME-Fragen zu machen.
  • Irrtümlich glauben die Autoren, dass ein Arzt die Bostoner, Kopenhagener oder Rhode Island Schule kennen sollte, auch in den CME-Fragen.
  • Die Autoren befinden sich im Irrtum, wenn sie stillschweigend unterstellen, der Säure-Basen-Haushalt sei nur für eine Temperatur von 37 °C definiert.
    Tatsächlich aber ist der BE nachweislich Temperatur-unabhängig mit der Folge, dass er beim hypothermen Patienten im POC-Gerät immer richtig berechnet wird, unabhängig von der Beatmungs-Strategie Alpha- oder pH-STAT (Zander 2007).
  • Irrtümlich heißt es innerhalb Augsburgs ab sofort Säure-Base-Haushalt während man außerhalb Augsburgs vom Säure-Basen-Haushalt spricht. Der Physiologe Peter Deetjen hatte wie alle Physiologen keine Probleme mit dem Säure-Basen-Haushalt.
    Dazu findet sich unter Kuriosa eine Anmerkung: Fußnote zum Beitrag R. Zander anlässlich des Refresher Course in Hamburg 1995 zum Thema Säure-Basen-Status: In der Bezeichnung "Säure-Basen-Status" ist nach Duden "Basen" nicht der Plural von Base sondern der Singular, der mit einem Bindungs-"n" (Übergangslaut) mit dem folgenden Wort verbunden wird. Im gleichen Sinne sprechen wir vom singulären Sonnenuntergang.

Fazit

Der Augsburger Fortbildungsbeitrag „Praktische Diagnostik….“ ist vollkommen misslungen.