Hyperoxie

Mit einer Hyperoxie, also Gabe von 100 % Sauerstoff (FIO2 1,0) für den Patienten, kann prinzipiell dafür gesorgt werden, dass

  • ein intrapulmonaler O2-Speicher angelegt,
  • die arterielle Oxygenierung trotz Apnoe sichergestellt,
  • der periphere Widerstand stabilisiert,
  • eine Transfusion vorübergehend ersetzt und
  • die Gewebe-Oxygenierung optimiert wird.

Dem Patienten kommen als wesentliche Effekte einer therapeutischen Hyperoxie zugute:

  • Der intrapulmonale O2-Speicher nach optimaler Präoxygenierung kann den O2-Verbrauch des Patienten unter Apnoe über 10 min absolut sicherstellen. Damit wird die Zeit nach Einsetzen der Apnoe bis zum Abfall der arteriellen O2-Sättigung auf ca. 75 % beim Erwachsenen von ca. 1 min unter Normoxie auf ca. 10 min unter Hyperoxie und beim Frühgeborenen von ca. 10 s unter Normoxie auf ca. 2 min unter Hyperoxie ausgedehnt.
  • Eine apnoische Oxygenierung stellt sicher, dass der Patient eine Apnoe bis zu 55 Minuten Dauer überleben kann.
  • Bereits eine milde Hyperoxie (paO2 100 mmHg) kann die Arterialisierung des Blutes auch unter permissiver Hyperkapnie mit paCO2-Werten von ca. 100 mmHg absolut sicherstellen, selbst dann, wenn zusätzlich eine metabolische Azidose mit einem BE von - 15 mmol/l vorliegen sollte. Diese Maßnahme verbessert die Gewebe-Oxygenierung erheblich.
  • Die unter Hyperoxie zu beobachtende Zunahme der Atelektasen-Bildung hat keine wesentliche klinische Bedeutung. Ein Verschluss der Atemwege aber (z. B. Tubus-Okklusion, Glottis-Verschluss, Laryngospasmus) ist in jedem Falle zu vermeiden, da in diesem Falle eine massive Störung des Ventilations-Perfusions-Verhältnisses mit der Folge eines sogenannten NPPE (negative pressure pulmonary edema) auftreten kann.
  • Während einer akuten Anämie kann über eine Hyperoxie kurzfristig ein Hb-Defizit von 1,5 g/dl entsprechend einer Transfusion von 2 Erythrozytenkonzentraten ersetzt werden. Die Hyperoxie wird zum schnellen Instrument der Diagnostik und der Therapie, weil fragliche Symptome eines O2-Mangels ausgeschlossen werden und die Hyperoxie sofort therapeutisch genutzt wird, bis die notwendigen Erythrozytenkonzentrate bereitstehen.
  • Für den Fet bedeutet eine maternale Hyperoxie eine Sicherung bzw. Verbesserung der Gewebeversorgung, weil arterieller, kapillärer und venöser pO2 deutlich angehoben werden.
  • Es gibt keinen Befund dafür, dass der O2-Verbrauch des Menschen unter Hyperoxie, also deutlicher Verbesserung des O2-Angebotes, paradoxerweise abnehmen sollte.

Eine ausführliche Darstellung findet sich im folgenden Beitrag:
Zander R
Physiologie und klinischer Nutzen einer Hyperoxie
Anästhesiol Intensivmed Notfall Schmerther 2005; 40: 616 - 623
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